„Musik beginnt für mich dort, wo die Sprache aufhört“. Enoch zu Guttenberg im Gespräch mit Melanie Alfaro

Porträt Enoch zu Guttenberg
Enoch zu Guttenberg, Musiker, Kämpfer, Enthusiast und bedeutender Umweltschützer. Er war Mitbegründer des Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland (BUND).
Bild: Copyright Melanie Alfaro

Enoch zu Guttenberg einzuordnen, fällt schwer. Der Baron aus dem fränkischen Guttenberg, vielen bekannt als Vater des ehemaligen Bundesverteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg, hat unterschiedliche Facetten: Da ist der Künstler, der als Dirigent und Intendant weltweit musikalische Erfolge feiert. Da ist der Kämpfer, der sich für Umweltschutz engagiert, mitmischt und aneckt. Und da ist der Suchende, der Heimweh hat – nach dem verlorenen Glauben und einer gerechteren Welt.

Im Gespräch mit unserer Redaktionsmitarbeiterin Melanie Alfaro erzählt er unter anderem, was Heimat für ihn bedeutet und wieso er trotz seiner Erfolge so bodenständig geblieben ist.  

Der bayerische Dirigent Max Reger soll einmal gesagt haben: „Das Schwein und der Künstler werden erst nach ihrem Tode geschätzt.“ Bei Ihnen ist es anders: Sie zählen heute schon zu den herausragenden Dirigenten unserer Zeit.

Bei Max Reger trifft das zu. Andere gab’s, die waren auch schon zu Lebzeiten berühmt. Aber  meistens ist es schon so, dass der Groschen nichts wert ist, wo er geschlagen wird, wie das Sprichwort heißt. Wir haben das große Problem heute – das kommt, glaube ich, aus der Karajan-Zeit –, dass wir Interpreten bald wichtiger genommen werden als die Werke. Wir Interpreten sollten uns manchmal an die eigene Nase fassen und sagen: Ach komm, wir sind gar nicht so wichtig. Wir haben den Werken zu dienen. Die wirklichen Künstler sind ja die, die diese Werke schreiben. Wir Dirigenten sind Verwalter.

Wie stehen Sie zu Religion und Glauben?

Ich war einmal ein wirklich tief gläubiger Mensch. Ich habe auch nach diesem Glauben ein großes Heimweh. Aber ich glaube nicht, dass es einen lieben Gott gibt. Denn dann gäbe es auch kein Auschwitz. Es ist absurd, aber trotzdem versuche ich, nach den Regeln des Christentums zu leben. Ich bin praktizierender Katholik und gehe jeden Sonntag in die Kirche.

 Wie kann man religiöse Werke wie zum Beispiel die Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach dirigieren, wenn man nicht an Gott glaubt?

In dem Moment, in dem ich dirigiere, gebe ich mich dem hin und versuche, die Überzeugung des Komponisten zu transportieren. Das ist ja mein Auftrag, das rüberzubringen, was der wollte, soweit das eben in meinen kleinen Möglichkeiten steht. Und Bach zum Beispiel war ja wirklich ein tief gläubiger Mensch. Mein Vater hat immer gesagt: Wenn man Bach liest oder hört, weiß man, was Glauben bedeutet. Das heißt aber nicht, dass ich es kann.

Musik ist eine Sprache, die Botschaften enthält …

Naja, man muss es, glaube ich, anders sehen: Musik beginnt für mich dort, wo die Sprache aufhört. Da gibt es zwei Schulen. Es gibt Dirigenten oder Musikwissenschaftler, die sagen: Man darf Musik niemals emotional machen, sondern es ist eine objektive Größenordnung für sich. Und die andere Schule sagt: Musik ist hochemotional. Ich bin, wie Sie sich denken können, ein Anhänger dieser Schule. Und ich bin auch ein großer Anhänger davon, den Menschen immer wieder beizubringen, dass Musik kein Konsumgut ist. Und ja, natürlich muss Musik auch Botschaften vermitteln.  Die  großen bekannten Werke haben immer Botschaften. Immer.

Was bedeutet Heimat für Sie?

Heimat ist für mich immer eine Identifikation mit etwas, wo man hingehört, wo man großgeworden ist. Ihr habt ja diesen wunderbaren Oberpfälzer Dialekt, den ich heiß und innig liebe. Wir haben unseren fränkischen. Das ist ja alles Identifikation.

Sie reisen schon seit Jahren durch die Republik und halten Reden zum Umweltschutz. Seit 47 Jahren sind Sie überzeugter Umweltschützer. Wurden Sie dazu erzogen oder gab es ein Schlüsselerlebnis?

Nein, ich wurde nicht dazu erzogen, da gab es mehrere Schlüsselerlebnisse. Mein Vater war ganz anders. Er war Landrat nach dem Krieg, als es hieß: aufbauen, aufbauen, aufbauen. Ich werfe ihm das auch gar nicht vor, aber es sind schon damals in die bezauberndsten Täler Straßen gebaut worden, die man bis heute nicht braucht. Ich habe meinen Vater erst am Krankenbett – er war sehr lange sehr krank und ist mit 51 Jahren gestorben – davon überzeugen können, dass ich in Sachen Umweltschutz auf dem richtigen Weg bin.

Herr Baron, wenn man Ihre Autobiografie liest, hat man das Gefühl, dass Sie ein sehr bodenständiger Mensch sind. Wie haben Sie sich die Bodenhaftung bewahrt?

Erstens durch meine Erziehung. Ich bin meinen Eltern zutiefst dankbar für eine sehr konsequente, man kann sagen strenge Erziehung. Dann bin ich ja eigentlich vom Jahrgang her ein typischer 68er. Wir sind einfach so großgeworden, dass man konzessionslos für das, was man für richtig hält, stehen muss. Viele in meinem Freundeskreis sagen: „Du wirst jetzt 69 Jahre alt und hast erst die ganze Geschichte mit deinem Sohn hinter dir. Wieso musst du jetzt da den Mund aufreißen in der Sache Energiepolitik? Lass es doch andere machen.“ Erstens tun’s zu wenige öffentlich. Und zweitens ist es einfach meine tiefste Überzeugung, dafür muss man einstehen, so bin ich erzogen. Bodenständig sein heißt ja: die Wurzeln, die man hat, nicht aufgeben. Das ist, glaube ich, das Wichtigste.

Und im Hinblick auf Ihre musikalischen Erfolge – sind Sie stolz auf sich?

Erfolg darf man in unserem Beruf nicht wollen. Das ist sehr gefährlich. Ich stehe schon, das muss ich sagen, mit großer Dankbarkeit meinem musikalischen Weg gegenüber. Ich hätte es auch nie für möglich gehalten, ihn so international gehen zu können. Aber wissen Sie: Für Erfolg in der Kunst muss man auch meist einen hohen Preis zahlen.

Es ist angenehm, sich mit Ihnen zu unterhalten.

Ich rede ja wie ein Buch!

Nein, weil Sie sich nicht für etwas Besseres halten.

Menschen, die sich für etwas Besseres halten, die gibt’s natürlich. Aber: Wieso soll man sich für besser halten? Es gibt da diesen wunderbaren Spruch: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Und dieser Spruch ist meiner Ansicht nach falsch übersetzt. Im Hebräischen bedeuten die Worte „erkennen“ und „lieben“ das gleiche. Wenn man also sagen würde: „Du sollst deinen Nächsten erkennen wie dich selbst“, dann wird man gleich viel milder. Und, glauben Sie mir:  Ich habe genug Abgründe und Fehler. Es gibt überhaupt keinen Grund für mich, die Nase hochzutragen.

Herr Baron zu Guttenberg, vielen Dank für dieses angenehme Gespräch mit Ihnen.

 

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